I
n der großen Pause erzählte uns Georg Boland:
„Heute bekommt mein Vater sein neues Motor-
rad. Er hat mir versprochen, dass mein Bruder
und ich mal mit ihm fahren dürfen.“ Ludwig,
Karl-Heinz und ich, die um Georg standen, waren
neugierig geworden. Ludwig fragte: „Was meinst du,
ob wir zugucken können?“
„Ich weiß nicht, wann genau das Motorrad eintrifft.
Aber kommt vorbei, wir können solange spielen, bis
das Ding da ist.“
„Das machen wir! Kommst du auch, Karl-Heinz?“
„Ich will es versuchen, aber zuerst muss ich die
Hausaufgaben erledigen, sonst lässt Mutter mich
nicht gehen.“
„Wir doch auch. Also wir treffen uns dann bei Ge-
org zu Hause auf dem Hof!“
Gesagt, getan. Nachdem ich meine Hausaufgaben
erledigt hatte, lief ich los zu Bolands Hof. Das war
ein ganz schönes Stück Weg, denn Bolands wohnten
nicht gerade in unserer Nähe. Doch uns jungen Dötz-
chen machte das nichts aus. Ludwig war schon da
und spielte mit Georg Knickern.
„Mein Vater ist unterwegs, er wird bald zurück-
kommen“, teilte Georg mit. Wir spielten noch eine
halbe Stunde, dann hörten wir das Geknatter der Ma-
schine. Georgs Vater fuhr stolz wie Oskar vom Weg
durch die Hofeinfahrt bis vor das große Tennentor.
Ein Hallo war das!
Im Nu war Bauer Boland von uns Kindern um-
ringt. Die Mutter kam aus der Tür mit Georgs kleiner
Schwester auf dem Arm, Oma und Opa hinterdrein.
Ich weiß heute nicht mehr, was für ein Fabrikat das
Motorrad war, aber eigentlich kann es in jenen Jahren
nur eine Fox, eine Quickly oder eine Miele gewesen
sein. Selbstverständlich war solch ein Gefährt damals
noch nicht, und so wurde es gebührend gewürdigt und
bestaunt, angesehen von allen Seiten, von oben und
unten. Sämtliche Hebel und Schalter mussten einmal
berührt und auch betätigt werden, was sofort von Ge-
orgs Vater getadelt wurde.Als
alle genug gestaunt
hatten, sollte nun auch Probe
gefahren werden. Frau Bo-
land hätte zuerst auf den So-
zius steigen dürfen, sie zier-
te sich aber und lehnte ab.
„Dann komm du!“, for-
derte Herr Boland Georg
Wir Kinder vom Lande
Unvergessene Dorfgeschichten. Band
6 / 1916 - 1976. Zeitzeugen-Erinne-
rungen, 256 Seiten, mit vielen Abbil-
dungen, Ortsregister. Zeitgut Verlag,
Berlin. Klappenbroschur. ISBN:
978-3-86614-227-5,
EURO 12,23
Apr i l
Eckhard Siegert
Das neue
Das Schweinebad
Margret Holthaus
D
as Leben auf dem Bauernhof war früher wesentlich
vielseitiger als heute. Die Unterschiede kenne ich
noch aus meiner Kinderzeit. Spezielle Mastställe
gab es damals noch nicht. Deshalb tummelten sich
viele Tiere – Kühe, Schweine, Schafe oder auch Gänse und En-
ten – auf dem Hof. Wir hatten viele Hühner und eine Glucke,
die ihre Küken noch selbst ausgebrütet hat. Menschen und Tie-
re lebten unter einem Dach. Nur ein langer Flur trennte Wohn-
bereich und Stallungen voneinander.
Bei den Tieren traten, genau wie bei den Menschen, auch
Krankheiten auf, die von den Bauern meistens mit einfachen
Hausmitteln auskuriert wurden. Einmal, so erinnere ich mich,
hatte sich unter den Ferkeln eine Schuppenflechte ausgebreitet.
Nun war guter Rat teuer. Den hatte der Tierarzt zwar parat,
aber er hatte damals kaum Medikamente zur Verfügung. Also
mussten wir mit dem Fahrrad viele Kilometer bis zur nächsten
Stadt zurücklegen, um die verordnete Seife für die Tiere zu
bekommen. Als wir sie besorgt hatten, erwies sich das Baden
der Ferkel als eine schwierige Prozedur. Das Wasser wurde
in unserem großen Wasserkessel erhitzt, auf Badetemperatur
gebracht und in eine Zinkwanne gefüllt, worin mein Bruder
die Ferkel badete. Das gefiel den Ferkeln überhaupt nicht. Sie
wehrten sich so sehr, daß auch wir dabei pitschnass wurden.
Plötzlich standen zwei junge Mädchen in der Tür – und staun-
ten! Sie kamen aus Berlin und waren zu Besuch bei ihrem On-
kel, der in unserer Nachbarschaft ein Textilgeschäft führte. In
Berlin hatten sie keine Gelegenheit, sich auf einem Bauernhof
umzusehen. Natürlich hatten sie nicht damit gerechnet, dass
sich auf unserem Hof sogar Schweine in der Wanne tummel-
ten, wo doch damals selbst für Menschen selten eine Badegele-
genheit bestand. Interessiert schauten sie deshalb dem Treiben
bei uns zu und fanden den Anblick der eingeseiften Kerlchen
spannend wie im Tierfilm.
Die Sau im Stall war wohl vom Quieken ihrer Ferkel beun-
ruhigt. In ihrer Aufregung hatte sie hektisch den Mist mit der
Schnauze aufgewühlt und sah entsprechend aus. Nun wollten
die Mädchen wissen, ob denn auch die Mutter der Ferkel ein
Bad bekäme. Es sähe ja ganz danach aus, dass sie es nötig hät-
te. Als wir mit dem Kopf nickten, wollten sie auch gleich wis-
sen, wie man denn so eine dicke Sau in die Wanne befördere.
Mein Bruder Matthias hatte gleich eine Erklärung parat. Nach
dem Ferkelbaden brauche er nur die Wanne in den Stall zu stel-
len, die Sau würde sich dann von allein hineinsetzen. Sie müsse
dann nur noch eingeseift werden. Die beiden Mädchen waren
von der Sache so
sehr angetan, dass
sie gleich ihrem On-
kel davon erzählten.
Dem verschlug es
fast die Sprache, als
er sich davon über-
zeugen konnte, dass
bei uns die Ferkel
tatsächlich gebadet
wurden.